Wie ortsunabhängige Arbeit die Geschäftskultur Europas verändert

Flexible Arbeitsregelungen formen ganze Teile Europas um, während andere Gebiete nur schwer mithalten können

Ortsunabhängiges Arbeiten nimmt innerhalb Europas vor allem durch die Fortschritte in der Netzwerktechnologie immer mehr zu. Ein Startup-Boom, der sich über den gesamten Kontinent erstreckt und die Einstellung zu flexiblen Arbeitspraktiken allmählich verändert. Von Eurostat veröffentliche Zahlen zeigen den stetigen Anstieg ortsunabhängiger Arbeit in den 28 Ländern der Europäischen Union: Im Jahr 2008 arbeiteten 7,7 % der Arbeitnehmer ortsunabhängig, während es 2018 bereits 9,8 % waren. 

Doch verbergen diese Zahlen ein paar interessante Details. Die Auswirkungen ortsunabhängiger Arbeit auf die Geschäftskultur werden von Region zu Region sehr unterschiedlich empfunden; in vielen europäischen Ländern herrschen immer noch strenge Ansichten darüber, wie Geschäfte geführt werden sollen. 

Deutschland beispielsweise legt nach wie vor großen Wert auf die persönliche Interaktion zwischen Kollegen und ist generell eher skeptisch gegenüber flexiblen Arbeitsregelungen. Woanders, wie zum Beispiel im Londoner Finanzzentrum, werden Anträge auf ortsunabhängiges Arbeiten von den Arbeitgebern eher zögerlich genehmigt, da die Kultur langer Arbeitsstunden im Büro nach wie vor die Regel ist. 

In Hightech-Ländern mit besonders starken Digitalgesellschaften wie Estland oder Finnland ist ortsunabhängiges Arbeiten geradezu in die Höhe geschossen und hat die dortige Geschäftskultur beinahe vollständig verändert. In anderen Ländern wiederum sind kaum Auswirkungen spürbar.

Was bedeutet ortsunabhängiges Arbeiten überhaupt?

Das ortsunabhängige Arbeiten ermöglicht es dem Arbeitnehmer, Zuhause oder in einem Coworking-Bereich zu arbeiten, um von dort aus seinen jeweiligen Aufgaben nachzugehen – ohne, dass er dafür in ein Büro fahren muss. Diese Regelung kann entweder auf Dauer oder für eine vereinbarte Anzahl an Tagen pro Woche festgelegt werden. 

Unternehmen in ganz Europa bieten ihren Mitarbeitern immer öfter die Option auf ortsunabhängiges Arbeiten; nicht nur, weil dadurch nachweislich die Arbeitsmoral verbessert und die Produktivität erhöht werden, sondern auch, um fähige Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. 

Die Arbeitskräfte der schnell wachsenden Generation Z – sogenannte „Digital Natives“, die nicht nur mit dem Internet aufgewachsen, sondern in die vernetzte Welt hineingeboren wurden – hat die Anforderungen an die Work-Life-Balance weiterentwickelt. Ihnen kommt die Vorstellung, jeden Tag zum selben zentralen Büro zu pendeln, mittlerweile etwas überholt vor. Für viele ist Flexibilität bei der Arbeit sogar wichtiger als das Gehalt.

Die besten und die ungeeignetsten europäischen Länder für ortsunabhängiges Arbeiten  

In vielen Fällen wird die Einführung ortsunabhängigen Arbeitens durch die existierende Geschäftskultur eines Landes vorangetrieben. Sehen wir uns Estland an, den Geburtsort von Skype und das erste Land, das seinen Bürgern Online-Wahlen ermöglicht hat. In dieser kleinen osteuropäischen Nation mit nur 1,3 Mio. Menschen ist der Anteil an Arbeitnehmern, die ortsunabhängig arbeiten, in den letzten 10 Jahren von 3,8 % auf ganze 12,5 % gestiegen; dies ist auf die kontinuierlichen Investitionen des Landes in eine weltweit führende digitale Infrastruktur und auf die sich rasant ausbreitende Technologieindustrie zurückzuführen.

Das Land ermuntert ausdrücklich zu flexiblem Arbeiten und versucht nun sogar, internationale ortsunabhängige Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Die estnische Regierung ist sogar dabei, ein spezielles Visum für „digitale Nomaden“ zu entwickeln, einer aufkommenden Klasse mobiler Freelancer, die arbeiten, während sie durch die Welt reisen.

Im Gegensatz dazu bildet Bulgarien – mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als der Hälfte des estnischen BIP – im Hinblick auf ortsunabhängiges Arbeiten das Schlusslicht der EU. Nur 0,7 % der dortigen Arbeitskräfte arbeiten nicht an einem festen Platz, was die deutlich weniger digitale und stattdessen deutlich stärker industriell geprägte Wirtschaft widerspiegelt. Dies ist vor allem auf die Herstellungs- und Landwirtschaftsbranchen zurückzuführen, die sich nur schwer mit ortsunabhängiger Arbeit vereinbaren lassen. 

Ortsunabhängiges Arbeiten verändert die Art und Weise, wie europäische Unternehmen Geschäfte machen

Wo auch immer sie passieren – Richtlinien zu ortsunabhängigem Arbeiten haben längst begonnen, die Arbeitsweise von Unternehmen in ganz Europa zu verändern. Bewaffnet mit einer großen Menge an Software für Nachrichtendienste oder Videokonferenzen müssen die verstreut arbeitenden Teams lernen, wie sie am besten mit ihren entfernten Kollegen kommunizieren können; auf diese Weise entstehen neue Unternehmensprotokolle ganz organisch, während die Teams damit beginnen, aus der Ferne und zwischen verschiedenen Ländern zu arbeiten. 

Beispielsweise mögen Videoanrufe für Mitarbeiter in Büros völlig überflüssig wirken; doch sie ermöglichen den entfernten Kollegen, nonverbale Zeichen in Meetings zu erfassen und sorgen insbesondere dafür, dass diese sich nicht ausgeschlossen fühlen – oder gar sozial isoliert. Für diejenigen, die eine andere Sprache sprechen, sind Videoanrufe sogar noch wichtiger, da sie zum Verständnis und der Interpretation beitragen.

Natürlich sind auch regelmäßige Meetings von Angesicht zu Angesicht wichtig. In allen möglichen europäischen Städten finden Fachleute neue Wege, um mit ihren Kollegen oder anderen entfernten Mitarbeitern zu kommunizieren, Meetings während der Mittagspausen abzuhalten und wöchentliche Coworking- und andere soziale Veranstaltungen in Bars und an öffentlichen Plätzen zu organisieren. Auf diesem Wege hilft ortsunabhängiges Arbeiten dabei, Unternehmen von traditionellen Geschäftsmethoden wegzubringen, Hierarchien abzubauen und die Art und Weise, wie Kollegen miteinander interagieren, neu zu gestalten – unabhängig davon, ob diese im selben Raum sitzen oder nicht.

Die Geschäftskultur verändert sichnicht nur in Europa, sondern weltweit

Die Anzahl der Arbeitnehmer, die an keinem festen Platz arbeiten, wächst sowohl innerhalb Europas als auch weltweit kontinuierlich an – ohne jegliche Anzeichen einer Verlangsamung. Diese flexiblen, mobilen und dezentralen Arbeitskräfte könnten eines Tages nicht nur die Geschäftswelt, sondern auch ganze Städte und Länder verändern. 

Orte wie Estland zeigen, dass flexible Arbeitsrichtlinien in großem Umfang funktionieren können. Während einige Branchen sich nicht für ortsunabhängiges Arbeiten eignen, besteht bei allen anderen die Notwendigkeit, diese Neuerungen zu integrieren, um die fähigsten Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig an sich zu binden. Glücklicherweise wird der Pool an fähigen Mitarbeitern, die zur Auswahl stehen, immer größer, je anpassungsfähiger sich die Unternehmen gegenüber einer veränderten Arbeitnehmerschaft zeigen.

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